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Gesicht in der Menge. Man kennt es und würde es trotzdem nicht
erkennen. Die Reklamechefs sind sich einig, dass Guinness das
Publikum nur in einer Maske faszinieren kann. Immerhin bekommt
dieser Mann pro Film eine Million Mark »
Wir werden prominenten Besuch in
Deutschland haben: Alec Guinness, Englands größter
Filmschauspieler. Neben Sophia Loren wird er in der Verfilmung
von Jean-Paul Sartres Bühnenstück
„Die Eingeschlossenen von Altona mitwirken. Vittorio de
Sica führt- unlustig, wie er sagt - Regie.
Alec Guinnes
hat in mimischer
Vollendung zwischen Magie und Gaukelei in den letzten Jahren dem
Film grandiose Züge verliehen. Er dreht zur Zeit in England den
film „Die Meuterer.“ Wer ist eigentlich dieser Mann, der
fast hochmütig darauf bedacht ist, ein Antistar zu sein?
Sternredakteur
Günther Dahl und Sternfotograf Michael Friedel haben ihn in den
Shepperton-Ateliers bei London besucht.
Er steht jetzt
zum fünften Male auf der Brücke eines Schiffes. Beim ersten
Male, als die britische Nation eigentlich von ihm erwarten
durfte, ein Held zu sein, verstand er von der Seefahrt herzlich
wenig. Das war 1944. Der englische Leutnant Alec Guinness war
Kommandant eines kleinen Landungsfahrzeuges und hatte den Krieg
bislang damit verbracht, jugoslawische Partisanen mit
Lebensmitteln zu beliefern. Nun nahte seine große Stunde:
Sein kleines Kriegsschiff sollte an der Landung der
Alliierten auf Sizilien teilnehmen. Da die Flottenleitung aber
vergessen hatte, den Kommandanten Guinness
über die Verschiebung des Unternehmens zu unterrichten,
kann er eine halbe Stunde zu früh an und setzte als erster
Alliierten seinen Fuß auf sizilianischen Boden.
„Die Größe
des Augenblicks ist mir auch heute noch nicht bewusst“, sagt
Guinness. Königen Elizabeth erhob ihn 1959 in den Adelsstand,
aber es besteht zwischen dieser Auszeichnung und Landung in
Sizilien kein Zusammenhang.
1953 steuerte
er ein Fährschiff zwischen Gibraltar und Marokko durchs
Mittelmeer. Dieses Mittelmeer rauschte durchs Filmatelier, und
die Kapitänskajüte war von einem Filmarchitekten hingestellt.
„Schlüssel zum Paradies“ hieß die amüsante Komödie. Alec
Guinness war ein englischer Kapitän, der on Gibraltar mit einer
Engländerin und in Marokko mit einer Mohammedanerin
verheiratet war. Auf halber Strecke wechselte er jeweils das
Foto der Gemahlin am Kopfende seines Bettes aus. Zum dritten Mal
geriet er als „Kapitän Seekrank“ mit dem maritimen Milieu
in Kontakt. Seine Kommandobrücke hatte er in einem Strandbad
verankert, denn er konnte nie die Schaukelei vertragen,
andererseits aber das Meer nicht missen. Es war wiederum eine
Guinness-Komödie. Beim vierten Male steht er als Admiral auf
der Brücke. Das Schiff geht unter, mit ihm versinkt gluckernd
und salutierend der Admiral. Sein Hut schwimmt davon.
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Der Mann, der aus seiner Rolle nicht heraus kann. Alec Guinness im
Gespräch mit Stern-Redakteur Günther Dahl. »
In diesen
Tagen traf ich den fünften Kapitän Alec Guinness. Er trug über
weißen Hosen und Wickelgamaschen einen goldbestockten schweren
Rock mit breiten Epauletten. Zwischen hochstehendem Kragen und
in die Stirn gezogenem Zweispitz blieb nicht viel Platz für
sein Gesicht, das jeder kennt,
und keiner wiedererkennt.
Der Film „Die
Meuterer“ spielt in den neunziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts. Als Kommandant des Segelschiffes „Defiant“
durchlebt Kapitän Crawford (Guinness) einen harten Konflikt.
Der Offizier des Königs in ihm verlangt, strenge und absolute
Disziplin an Bord durchzusetzen. Der empfindsame grüblerische
Sucher nach Gerechtigkeit in ihm lässt ihn begreifen, dass eine
Besatzung, die aus einem Haufen trüber Figuren zusammengesetzt
ist, nichts zu essen hat, in stinkigen Kojen liegt und überdies
brutal gedrillt und geschunden wird, kein menschlicher
Exerzierplatz für soldatische Tugenden ist.
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Krieg nach echtem Schrot und Korn: eine
Schlachtszene aus dem neuen Alec-Guinness-Film " Die
Meuterer". Gedreht wurde vor Spaniens Küste.»
„Sehen Sie
Parallelen dieser Rolle als Kapitän Crawford zu den beiden berühmten,
fast klassischen Kapitänsrollen der Filmgeschichte, nämlich zu
Kapitän Bligh aus dem Film ‚Meuterei auf der Bounty’ und zu
Kapitän Queeg aus dem Film ‚Die Caine war ihr
Schicksal’?“ frage ich.
Alec Guinness
dreht an seinen Manschettenknöpfen.
Er ist kein Mann, dem eine Unterhaltung glatt von der
Zunge geht.
„Nein, da
sehe ich eigentlich keine Parallele“, sagt er, „der ‚Bounty’-Kapitän
war ein grausamer Tyrann.
Der Kommandant der ‚Caine’ Psychopath und von Verfolgunswahn
und Angst getrieben- nein sie sind nicht verwandt mit meinem
Kapitän Crawford, der ich jetzt bin.“
Er sagt nicht
„… den ich jetzt spiele. Er sagt, dass er dieser Crawford
sei. Das habe ich schon manchen Star zwar sagen hören, aber
immer war dann die Darstellung einer anderen Gestalt
durchsichtig genug, um dahinter wieder den Star, den
Schauspieler hervorkommen zu lassen. Man muss das vielleicht mit
den Augen eines Kaufmannes sehen, der eine bestimmte Ware auf
den Markt bringen will. Die Stars als „Verkaufsschlager“ müssen
bei aller Kunst und bei aller Geschicklichkeit, sich in andere
zu verwandeln, immer noch jene Transparenz behalten, die den
„Markenartikel“ als eben diesen erkennen lässt. Ein Curd Jürgens
als Wernher von Braun bleibt stets Curd Jürgens. Die anonyme
Verehrermenge vor dem Eingang des Filmtheaters hatte bei einer
Premiere mit dem Ende der Vorstellung sogleich die Rückverkörperung
vollzogen.
Dieser Mann
hier, der 47jährige Alec Guinness, ist indessen kein Star. Er
entzieht sich der Klassifizierung nicht etwas aus Snobismus. Er
ist schlechthin zu gesund und macht einfach von einem Grundrecht
Gebrauch, nämlich die Einstufung des Individuums nicht
ausschließlich den Funktionären der Filmindustrie zu überlassen.
Er erlaubt es nicht, dass mit ihm verfahren wird.
Während
unseres Gespräches in einem winzigen Wohnwagen auf dem
Ateliergelände von Shepperton bei London wird mir bewusst, dass
ich überhaupt nicht dem Sir Alec Guinness gegenübersitze,
sondern Kapitän Crawford. Bei der Feststellung „ er lebt mit
seiner Rolle“ kann man das nicht bewenden lassen. Der
englische Journalist Roland Hill schreib in seinem
Guinness-Portrait vor mehreren Jahren den Satz: „Er ist nicht
ein großer Schauspieler, der die eigene Persönlichkeit in
seine Rollen projiziert und dann dort wieder entdeckt –seine
Genialität besteht darin, das eigene Gesicht, letztlich das
eigene Ich auszulöschen.“
Dieser Prozess
muss zwangsweise auch außerhalb des Drehplanes verlaufen.
Merula Guinness, seine Frau, die er in den dreißiger Jahren auf
der Bühne kennengelernt hatte, beschreibt dieses Abtreten ihres
Mannes von der Ebene des ursprünglichen Ichs und die fast
schizophren anmutende Wiederkehr des gleichen physischen
Menschen Alec Guinness in der psychischen Hülle eines anderen
immer wieder als das größte, stets neue Abenteuer ihrer Ehe.
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Frisch geadelt (1959): Sir Alec Guinness, Ehefrau Merula, Sohn
Matthew »
Der Mann, der nach 19 Uhr nach Drehschluss in seine
16.000-Mark-Humber-Limousine steigt,
um in die Stadtwohnung oder auf seinen Landsitz zu
fahren, ist dann eben nur der Kapitän Crawford und der bleibt
es, Monate hindurch, bis der Film fertig ist. Als vor fünf
Jahren „Die Brücke am Kwai“ gedreht wurde- so erinnert sich
sein Garderobier- gestand Guiness, dass er den Obersten
Nicholson von Anfang an hasste. Sir Laurence Olivier hatte vor
ihm diese Rolle abgelehnt. Guinness entschloss sich nach
dreimaligem Zögern, sie anzunehmen, und hat, wie der Kritiker
Bosley Crowther in
der New York Times schrieb „…die Filmkunst um das
vernichtendste Portrait eines Militaristen bereichter, das wir
jemals zu sehen bekamen.“
Während der
langwierigen Aufnahmen zu diesem Film gab es, wenn man so will,
keinen Alec Guinness. In der Gestalt des bornierten Obersten
Nicholson tauchte er wiedergeboren auf- ein vollkommen anderer
Mensch, der das Phänomen zustande brachte, bestenfalls die
Blutgruppe mit Guinness gemeinsam
zu haben. „Aber auch das ist nicht einmal gewiss“,
spottete Sam Spiegel, der in Wien aufgewachsene Produzent der
Kwai-Brücke.
Alec Guinness,
der heute eine Million Mark pro Film verlangt und bekommt, wurde
1914 in der Nähe von London geboren. 1933 begann er als
Werbetexter in einer Londoner Agentur, bekam ein Jahr später
ein Stipendium an einer Schauspielschule und spielte 1938 mit 24
Jahren an Londons berühmten Theater „Old Vic“ den Hamlet in
modernem Gewand. Es wurde ein grandioser Reinfall.
Die Rolle des
Hamlet ist bis auf den heutigen Tag der dunkle Punkt in der
Karriere und damit im Leben von Alec Guinness geblieben. 1950
– inzwischen von den New Yorker Kritikern zum „besten
Schauspieler der Broadway-Saison 1949/1950 „ erwählt –
bringt er sich in Edinburgh als Hamlet in einer eigenen
Inszenierung heraus. Erfolg: „Der schlechteste Hamlet, den wir
jemals gesehen haben“(Evening
Standard).
Diese
Niederlage hat Guinness bis heute nicht verwunden. Als seine
Regierführung in Shakespeares „Was ihr wollt „ auf den
traditionsreichen Brettern des „Old Vic“ –Theaters mit der
Feststellung quittiert wurde „…damit ist im Old Vic der
tiefste Niveau-Pegel erreicht worden“, entfernte er sich, zunächst
unmerklich, vom Theater.
Der Film ließ
sich Alec Guinness nicht entgehen. Merkwürdig, dass eine
Kunstform wie gerade der Film mit einem Durchschnittsgesicht
eine neue Ära begann. Da ist kein erotischer Nimbus, mit diesem
scheuen und nüchternen Mann sind keine Reklame-Fassaden zu
beleben. Ein Typ, der nicht verführt, nicht provoziert, nicht
droht und kein Mitleid erregt. Ein Gesicht, das man einfach übersieht.
Aber was dieser Durchschnittstyp mit einem profil- und
konturlosen Gesicht vermag, ist letztlich an den Bilanzen der
Filmgesellschaften abzulesen:
„Adel
verpflichtet“ (hier spielte er acht verschiedene Rollen),
„Ladykillers“, „Die seltsamen Wege des Pater
Brown“, „Der
Gefangene“, „Des Pudels Kern, „Einmal Millionär sein“.
Für die Rolle des Obersten in der „Brücke am Kwai“ ( laut
„New York Times“ eine Studie erhabener Borniertheit) erhielt
er 1957 den „Oscar“, die höchste Trophäe, die ein
Filmschauspieler erringen kann.
Der
Aufnahmeleiter klopft, um Kapitän Crawford, der also irgendwann
wieder eine Zeitlang Alec Guinness sein wird, auf die Kommandobrücke
ins Studio IV zu holen. „Eine Frage noch“, bitte ich den
unbeholfenen Mann, der alle seine Rollen weiterlebt: „Man
sagt, Sie würden in dem biblischen Mammutfilm ‚Die größte
Geschichte, die je erzählt wurde’ den König Herodes spielen,
den Kinderschlächter von Bethlehem?“
Alec Guinness
fingert an seiner Uniformjacke herum und blickt beinahe hilflos
aus dem kleinen Fenster. Plötzlich grinst er und schickt einen
schnellen belustigten Blick herüber: „Jedenfalls braucht mein
Sohn während der Dreharbeiten nichts von mir zu befürchten. Er
ist schon einundzwanzig.“
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