Alec Guinness- Portrait eines Antistars
Günther Dahl, Stern Nr. 8/62

 

«  Gesicht in der Menge. Man kennt es und würde es trotzdem nicht erkennen. Die Reklamechefs sind sich einig, dass Guinness das Publikum nur in einer Maske faszinieren kann. Immerhin bekommt dieser Mann pro Film eine Million Mark »

Wir werden prominenten Besuch in Deutschland haben: Alec Guinness, Englands größter Filmschauspieler. Neben Sophia Loren wird er in der Verfilmung von Jean-Paul Sartres Bühnenstück  „Die Eingeschlossenen von Altona mitwirken. Vittorio de Sica führt- unlustig, wie er sagt - Regie.  

 

 

Alec Guinnes hat  in mimischer Vollendung zwischen Magie und Gaukelei in den letzten Jahren dem Film grandiose Züge verliehen. Er dreht zur Zeit in England den film „Die Meuterer.“ Wer ist eigentlich dieser Mann, der fast hochmütig darauf bedacht ist, ein Antistar zu sein?

Sternredakteur Günther Dahl und Sternfotograf Michael Friedel haben ihn in den Shepperton-Ateliers bei London besucht.

Er steht jetzt zum fünften Male auf der Brücke eines Schiffes. Beim ersten Male, als die britische Nation eigentlich von ihm erwarten durfte, ein Held zu sein, verstand er von der Seefahrt herzlich wenig. Das war 1944. Der englische Leutnant Alec Guinness war Kommandant eines kleinen Landungsfahrzeuges und hatte den Krieg bislang damit verbracht, jugoslawische Partisanen mit Lebensmitteln zu beliefern. Nun nahte seine große Stunde:  Sein kleines Kriegsschiff sollte an der Landung der Alliierten auf Sizilien teilnehmen. Da die Flottenleitung aber vergessen hatte, den Kommandanten Guinness  über die Verschiebung des Unternehmens zu unterrichten, kann er eine halbe Stunde zu früh an und setzte als erster Alliierten seinen Fuß auf sizilianischen Boden.

„Die Größe des Augenblicks ist mir auch heute noch nicht bewusst“, sagt Guinness. Königen Elizabeth erhob ihn 1959 in den Adelsstand, aber es besteht zwischen dieser Auszeichnung und Landung in Sizilien kein Zusammenhang.

1953 steuerte er ein Fährschiff zwischen Gibraltar und Marokko durchs Mittelmeer. Dieses Mittelmeer rauschte durchs Filmatelier, und die Kapitänskajüte war von einem Filmarchitekten hingestellt. „Schlüssel zum Paradies“ hieß die amüsante Komödie. Alec Guinness war ein englischer Kapitän, der on Gibraltar mit einer Engländerin und in Marokko mit einer Mohammedanerin verheiratet war. Auf halber Strecke wechselte er jeweils das Foto der Gemahlin am Kopfende seines Bettes aus. Zum dritten Mal geriet er als „Kapitän Seekrank“ mit dem maritimen Milieu in Kontakt. Seine Kommandobrücke hatte er in einem Strandbad verankert, denn er konnte nie die Schaukelei vertragen, andererseits aber das Meer nicht missen. Es war wiederum eine Guinness-Komödie. Beim vierten Male steht er als Admiral auf der Brücke. Das Schiff geht unter, mit ihm versinkt gluckernd und salutierend der Admiral. Sein Hut schwimmt davon.  

«  Der Mann, der aus seiner Rolle nicht heraus kann. Alec Guinness im Gespräch mit Stern-Redakteur Günther Dahl. »

 

 

 

 

 

 

In diesen Tagen traf ich den fünften Kapitän Alec Guinness. Er trug über weißen Hosen und Wickelgamaschen einen goldbestockten schweren Rock mit breiten Epauletten. Zwischen hochstehendem Kragen und in die Stirn gezogenem Zweispitz blieb nicht viel Platz für sein Gesicht, das jeder kennt,  und keiner wiedererkennt.  

Der Film „Die Meuterer“ spielt in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts. Als Kommandant des Segelschiffes „Defiant“ durchlebt Kapitän Crawford (Guinness) einen harten Konflikt. Der Offizier des Königs in ihm verlangt, strenge und absolute Disziplin an Bord durchzusetzen. Der empfindsame grüblerische Sucher nach Gerechtigkeit in ihm lässt ihn begreifen, dass eine Besatzung, die aus einem Haufen trüber Figuren zusammengesetzt ist, nichts zu essen hat, in stinkigen Kojen liegt und überdies brutal gedrillt und geschunden wird, kein menschlicher Exerzierplatz für soldatische Tugenden ist.  

 

« Krieg nach echtem Schrot und Korn: eine Schlachtszene aus dem neuen Alec-Guinness-Film " Die Meuterer". Gedreht wurde vor Spaniens Küste.»

 

 

 

 

 

 

 

„Sehen Sie Parallelen dieser Rolle als Kapitän Crawford zu den beiden berühmten, fast klassischen Kapitänsrollen der Filmgeschichte, nämlich zu Kapitän Bligh aus dem Film ‚Meuterei auf der Bounty’ und zu Kapitän Queeg aus dem Film ‚Die Caine war ihr Schicksal’?“ frage ich.  

Alec Guinness dreht an seinen Manschettenknöpfen.  Er ist kein Mann, dem eine Unterhaltung glatt von der Zunge geht.

„Nein, da sehe ich eigentlich keine Parallele“, sagt er, „der ‚Bounty’-Kapitän war ein grausamer  Tyrann. Der Kommandant der ‚Caine’ Psychopath und von Verfolgunswahn und Angst getrieben- nein sie sind nicht verwandt mit meinem Kapitän Crawford, der ich jetzt bin.“

Er sagt nicht „… den ich jetzt spiele. Er sagt, dass er dieser Crawford sei. Das habe ich schon manchen Star zwar sagen hören, aber immer war dann die Darstellung einer anderen Gestalt durchsichtig genug, um dahinter wieder den Star, den Schauspieler hervorkommen zu lassen. Man muss das vielleicht mit den Augen eines Kaufmannes sehen, der eine bestimmte Ware auf den Markt bringen will. Die Stars als „Verkaufsschlager“ müssen bei aller Kunst und bei aller Geschicklichkeit, sich in andere zu verwandeln, immer noch jene Transparenz behalten, die den „Markenartikel“ als eben diesen erkennen lässt. Ein Curd Jürgens als Wernher von Braun bleibt stets Curd Jürgens. Die anonyme Verehrermenge vor dem Eingang des Filmtheaters hatte bei einer Premiere mit dem Ende der Vorstellung sogleich die Rückverkörperung vollzogen.

Dieser Mann hier, der 47jährige Alec Guinness, ist indessen kein Star. Er entzieht sich der Klassifizierung nicht etwas aus Snobismus. Er ist schlechthin zu gesund und macht einfach von einem Grundrecht Gebrauch, nämlich die Einstufung des Individuums nicht ausschließlich den Funktionären der Filmindustrie zu überlassen. Er erlaubt es nicht, dass mit ihm verfahren wird.

Während unseres Gespräches in einem winzigen Wohnwagen auf dem Ateliergelände von Shepperton bei London wird mir bewusst, dass ich überhaupt nicht dem Sir Alec Guinness gegenübersitze, sondern Kapitän Crawford. Bei der Feststellung „ er lebt mit seiner Rolle“ kann man das nicht bewenden lassen. Der englische Journalist Roland Hill schreib in seinem Guinness-Portrait vor mehreren Jahren den Satz: „Er ist nicht ein großer Schauspieler, der die eigene Persönlichkeit in seine Rollen projiziert und dann dort wieder entdeckt –seine Genialität besteht darin, das eigene Gesicht, letztlich das eigene Ich auszulöschen.“  

Dieser Prozess muss zwangsweise auch außerhalb des Drehplanes verlaufen. Merula Guinness, seine Frau, die er in den dreißiger Jahren auf der Bühne kennengelernt hatte, beschreibt dieses Abtreten ihres Mannes von der Ebene des ursprünglichen Ichs und die fast schizophren anmutende Wiederkehr des gleichen physischen Menschen Alec Guinness in der psychischen Hülle eines anderen immer wieder als das größte, stets neue Abenteuer ihrer Ehe. 

                                                                                                                                                           

«  Frisch geadelt (1959): Sir Alec Guinness, Ehefrau Merula, Sohn Matthew »

 

 

 

 

 

 

 

Der Mann, der nach 19 Uhr nach Drehschluss in seine 16.000-Mark-Humber-Limousine steigt,  um in die Stadtwohnung oder auf seinen Landsitz zu fahren, ist dann eben nur der Kapitän Crawford und der bleibt es, Monate hindurch, bis der Film fertig ist. Als vor fünf Jahren „Die Brücke am Kwai“ gedreht wurde- so erinnert sich sein Garderobier- gestand Guiness, dass er den Obersten Nicholson von Anfang an hasste. Sir Laurence Olivier hatte vor ihm diese Rolle abgelehnt. Guinness entschloss sich nach dreimaligem Zögern, sie anzunehmen, und hat, wie der Kritiker Bosley Crowther  in der New York Times schrieb „…die Filmkunst um das vernichtendste Portrait eines Militaristen bereichter, das wir jemals zu sehen bekamen.“

Während der langwierigen Aufnahmen zu diesem Film gab es, wenn man so will, keinen Alec Guinness. In der Gestalt des bornierten Obersten Nicholson tauchte er wiedergeboren auf- ein vollkommen anderer Mensch, der das Phänomen zustande brachte, bestenfalls die Blutgruppe mit Guinness gemeinsam  zu haben. „Aber auch das ist nicht einmal gewiss“, spottete Sam Spiegel, der in Wien aufgewachsene Produzent der  Kwai-Brücke.

Alec Guinness, der heute eine Million Mark pro Film verlangt und bekommt, wurde 1914 in der Nähe von London geboren. 1933 begann er als Werbetexter in einer Londoner Agentur, bekam ein Jahr später ein Stipendium an einer Schauspielschule und spielte 1938 mit 24 Jahren an Londons berühmten Theater „Old Vic“ den Hamlet in modernem Gewand. Es wurde ein grandioser Reinfall.

Die Rolle des Hamlet ist bis auf den heutigen Tag der dunkle Punkt in der Karriere und damit im Leben von Alec Guinness geblieben. 1950 – inzwischen von den New Yorker Kritikern zum „besten Schauspieler der Broadway-Saison 1949/1950 „ erwählt – bringt er sich in Edinburgh als Hamlet in einer eigenen Inszenierung heraus. Erfolg: „Der schlechteste Hamlet, den wir jemals gesehen haben“(Evening  Standard).

Diese Niederlage hat Guinness bis heute nicht verwunden. Als seine Regierführung in Shakespeares „Was ihr wollt „ auf den traditionsreichen Brettern des „Old Vic“ –Theaters mit der Feststellung quittiert wurde „…damit ist im Old Vic der tiefste Niveau-Pegel erreicht worden“, entfernte er sich, zunächst unmerklich, vom Theater.

Der Film ließ sich Alec Guinness nicht entgehen. Merkwürdig, dass eine Kunstform wie gerade der Film mit einem Durchschnittsgesicht eine neue Ära begann. Da ist kein erotischer Nimbus, mit diesem scheuen und nüchternen Mann sind keine Reklame-Fassaden zu beleben. Ein Typ, der nicht verführt, nicht provoziert, nicht droht und kein Mitleid erregt. Ein Gesicht, das man einfach übersieht. Aber was dieser Durchschnittstyp mit einem profil- und konturlosen Gesicht vermag, ist letztlich an den Bilanzen der Filmgesellschaften abzulesen:

 

„Adel verpflichtet“ (hier spielte er acht verschiedene Rollen),  „Ladykillers“, „Die seltsamen Wege des Pater Brown“,  „Der Gefangene“, „Des Pudels Kern, „Einmal Millionär sein“. Für die Rolle des Obersten in der „Brücke am Kwai“ ( laut „New York Times“ eine Studie erhabener Borniertheit) erhielt er 1957 den „Oscar“, die höchste Trophäe, die ein Filmschauspieler erringen kann.  

 

 

Der Aufnahmeleiter klopft, um Kapitän Crawford, der also irgendwann wieder eine Zeitlang Alec Guinness sein wird, auf die Kommandobrücke ins Studio IV zu holen. „Eine Frage noch“, bitte ich den unbeholfenen Mann, der alle seine Rollen weiterlebt: „Man sagt, Sie würden in dem biblischen Mammutfilm ‚Die größte Geschichte, die je erzählt wurde’ den König Herodes spielen, den Kinderschlächter von Bethlehem?“

Alec Guinness fingert an seiner Uniformjacke herum und blickt beinahe hilflos aus dem kleinen Fenster. Plötzlich grinst er und schickt einen schnellen belustigten Blick herüber: „Jedenfalls braucht mein Sohn während der Dreharbeiten nichts von mir zu befürchten. Er ist schon einundzwanzig.“